Obwohl sie nicht im Fokus der Berichterstattung stehen und deshalb wenig wahrgenommen werden, finden Abschiebungen trotzdem statt. Wir haben die Statistiken zu Abschiebungen der Jahre 2016, 2017 und 2018 (bis einschließlich August/2018) ausgewertet. Die Statistiken sind hier einsehbar. Insgesamt wurden im Jahr 2016 122 Menschen abgeschoben. Im darauffolgenden Jahr 2017 ist diese Zahl bereits auf 152 angestiegen. Im Jahr 2018 wurden bis August 74 Menschen abgeschoben, d.h. die Zahl der Abschiebungen in Bochum bleibt gleichbleibend hoch. Es lässt sich also feststellen: Es wurde durchschnittlich rund alle zweieinhalb Tage in Bochum ein Mensch abgeschoben.
Westbalkanstaaten als Schwerpunkt bei Bochumer Abschiebungen
Bei der Betrachtung der Herkunftsländer, in welche die Menschen in den letzten drei Jahren aus Bochum abgeschoben wurden, ist ein deutlicher Schwerpunkt bei den Balkanstaaten (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Serbien) zu erkennen. Im Jahr 2016 wurden 84 Personen in den Balkan abgeschoben. Dies entspricht einem Anteil von 68,85 % an allen Abschiebungen des Jahres. 2017 wurden 104 Personen in den Balkan abgeschoben – dies entspricht einem Anteil von 67,11 %. Der Anteil geht im Jahr 2018 zurück: 39 Personen wurden bis August 2018 in den Balkan abgeschoben. Das sind mit 52,70% rund die Hälfte aller Abschiebungen.
Überraschend ist der Schwerpunkt der Herkunftsländer nicht. 2014 wurden Albanien, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien zu „sicheren Herkunftsländern“ erklärt. Im Jahr darauf folgte die Einstufung für Albanien, Montenegro und den Kosovo. Durch die Erklärung zu sicheren Herkunftsländern wird Asylsuchenden pauschal unterstellt, dass sie kein Anrecht auf Asyl haben. Ein Recht auf eine Einzelfallprüfung, die für ein faires Asylverfahren gerade in schwierigen Fällen essentiell ist, wird somit unterhöhlt. Letzte Woche wurden zudem die sogenannten „Maghreb-Länder“ Algerien, Marokko und Tunesien sowie Georgien im Bundestag als sichere Herkunftsländer“ eingestuft. Eine Zustimmung des Bundesrates steht aber noch aus – die Einstufung könnte also noch verhindert werden.
Kein großer Anstieg? Menschen kommen gar nicht mehr in Bochum an!
Zur Einordnung der Abschiebezahlen ist außerdem zentral, dass Menschen aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“ (neben den genannten Westbalkanstaaten sind alle Länder der EU und die afrikanischen Staaten Ghana und Senegal „sichere Herkunftsstaaten) gar nicht mehr in den Kommunen ankommen! Menschen, die aus sicheren Herkunftsländern kommen, leben in zentralen Unterbringungseinrichtung des Landes NRW und werden nicht mehr auf die Kommunen verteilt. Der Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen ordnet ein, was es bedeutet, in einer ZUE wohnen zu müssen:
„In einer Landesaufnahmeeinrichtung zu wohnen, bedeutet, mit erheblichen rechtlichen und sozialen Einschränkungen leben zu müssen. In den Sammelunterkünften, die für bis zu 1000 Personen ausgelegt sind, gibt es unter anderem keine Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten. Aufgrund des Sachleistungsprinzips (§ 3 AsylbLG) besteht keine Möglichkeit sich selbstbestimmt zu versorgen und die Bewegungsfreiheit der Bewohner*innen ist auf den Bezirk der jeweiligen Ausländerbehörde beschränkt (Residenzpflicht). Die Schutzsuchenden dürfen nicht arbeiten, haben keinen Zugang zu Integrationskursen und kaum Anbindung an die örtliche Infrastruktur oder zur Zivilgesellschaft. Während der Zeit in einer Landesaufnahmeeinrichtung besteht für Kinder und Jugendliche in NRW zudem keine Schulpflicht, sodass diese häufig über Monate und teilweise über Jahre von Bildungsangeboten ausgeschlossen sind“
Quelle: Flüchtlingsrat NRW
Das heißt also: Menschen werden in NRW mittlerweile viel effizienter aus den Einrichtungen des Landes abgeschoben!Durch die Unterbringung in solchen Einrichtungen werden also grundlegende Rechte etwa auf Teilhabe, Bildung, angemessenes Wohnen und der Schutz besonderer Bedürfnisse missachtet.Darüber hinaus stellt der Flüchtlingsrat fest, dass generell bei Abschiebungen immer weniger Rücksicht auf die individuelle Situation der Betroffenen genommen wird. In einer Pressemitteilung vom 18.01.2019 kritisiert der Flüchtlingsrat zum Beispiel die Abschiebung von Schwangeren direkt aus dem Krankenhaus, Suizidgefährdeten direkt aus der Psychiatrie sowie Behinderten ohne ihren Rollstuhl. Von der verschärften Abschiebungspraxis und dem Druck auf Ärzte, den Abschiebungen zuzustimmen, berichtet auch das Politmagazin „Monitor“.
Abschiebungen nach Afghanistan
Wir haben Ende 2016 und Anfang 2017 mit der Kampagne „Keine Abschiebungen aus Bochum nach Afghanistan – Jetzt vor Ort Verantwortung übernehmen“ versucht, einen Ratsbeschluss zu erwirken, der Abschiebungen nach Afghanistan verhindert. Oberbürgermeister Thomas Eiskirch und die SPD Bochum weigerten sich damals, für Menschenrechte und gegen Abschiebungen in das Kriegsland Afghanistan einzutreten, obwohl es nach wie vor absolut nicht als sicher bezeichnet werden kann, wie auch eine interaktive Karte von Pro Asyl zu Gewalthandlungen in Afghanistan zeigt. Im Jahr 2017 ist für Bochum eine Abschiebung mit dem Herkunftsland „Afghanistan“ aufgeführt. Es ist unklar, ob es sich bei der registrierten Abschiebung 2017 um eine Abschiebung nach Afghanistan oder um eine Abschiebung nach dem Dublin-III-Abkommen handelt. Da 2017 auch drei Abschiebungen mit dem Herkunftsland „Syrien“ verzeichnet sind, ist erkennbar, dass auch Dublin-III-Abschiebungen in die Statistik einbezogen werden, ohne kenntlich zu machen, in welches Dublin-Land abgeschoben wurde. Hierzu ist aber anzumerken: Oft ist eine Abschiebung nach dem Dublin-III-System nur eine Zwischenstation für eine Abschiebung in das eigentliche Herkunftsland.
Bochum schiebt Minderjährige ab
Im Jahr 2016 und 2017 waren ungefähr ein Drittel der abgeschobenen Menschen minderjährig. 2016 waren 36,89 % der Abgeschobenen minderjährig. 2017 waren es 32,24 %. Vermutlich werden viele Minderjährige gemeinsam im Familienverbund abgeschoben. Bekannt wurde eine große, nächtliche Sammelabschiebung von albanischen Familien aus dem Mai 2018. Es ist anzunehmen, dass es weiterhin nächtliche Sammelabschiebungen in Bochum geben wird, bei denen auf das Wohl und die Rechte der Kinder keine Rücksicht genommen wird. Familien aus dem Balkan, deren Kinder häufig auch in Deutschland geboren und zur Schule gegangen sind und welche die Sprache des Abschiebe-Landes gar nicht beherrschen, sind erfahrungsgemäß betroffen. Die Statistik der Stadt Bochum lässt über die Zeit, die die abgeschobenen Kinder bzw. Familien in Deutschland verbracht haben, allerdings keine Rückschlüsse zu. Über die allgemein aussichtslose Situation von in den Balkan abgeschobenen Kindern gibt es jedoch viele Berichte, etwa vom Deutschlandfunk Kultur. Das Roma Center Göttingen engagiert sich mit einer Kampagne gegen Abschiebungen von in Deutschland beschulten Kindern aus Roma-Familien.
Abschiebhaft: Auch Menschen aus Bochum werden unschuldig inhaftiert
Im Jahr 2019 jährt sich die „Tradition“ der Abschiebhaft in Deutschland zum 100. Mal. Hierzu besteht das Bündnis 100 Jahre Abschiebehaft, welches auf die Situation der Abschiebehäftlinge aufmerksam machen will. In NRW gibt es in Büren ein Abschiebegefängnis. In Bochum wurden in den letzten zwei-einhalb Jahren 19 Menschen in Abschiebhaft genommen. Wer sich über Abschiebehaft informieren möchte, kann das Das hier tun.
Wir stehen weiterhin für ein Bleiberecht aller Menschen ein!
Der Rechtsruck und eine verfehlte Politik sorgen bundesweit für einen erhöhten politischen Druck, Abschiebungen verschärft durchzuführen. Wir beobachten diese Entwicklungen mit Sorge. Für die Dokumentation von Abschiebungen sind wir allerdings auch auf Informationen aus Unterstützer*innen-Kreisen angewiesen: Falls du etwas von Abschiebungen aus Bochum weißt, ganz unabhängig davon, ob sie schon stattgefunden haben, angedroht wurden oder ausstehen, freuen wir uns, wenn du dich bei uns meldest.
Wir von Treffpunkt Asyl stehen grundsätzlich für ein Bleiberecht aller Menschen in Bochum und stellen uns gegen Abschiebungen!