Redebeitrag zur geplanten Privatisierung der Unterbringungseinrichtungen in Bochum

Wenn es nach der Bochumer Verwaltung geht, stehen der Flüchtlingsunterbringung und -betreuung in Bochum große Änderungen bevor. Auf einer Pressekonferenz haben Sozialdezernentin Britta Anger und Stadtdirektor Michael Townsend angekündigt: Die Stadt will sich vollkommen als Betreiber von Flüchtlingsunterkünften zurückziehen. Alle Unterkünfte sollen komplett, inklusive der Unterkunftsleitung, an andere Betreiber outgesourct werden. Diese Betreiber sollen dann für alles verantwortlich sein, was die Unterkunft betrifft. Sie können allerdings für bestimmte Aufgaben Subunternehmen beschäftigen.

Diese weitreichende Änderung will die Verwaltung ohne Beschluss der politischen Gremien und ohne eine öffentliche Diskussion über das Für und Wider im Schweinsgalopp durchsetzen: Bereits Ende März/Anfang April sollen die ersten EU-weiten Ausschreibungen stattfinden. Ausschreibungen für die bisherigen Unterkünfte sollen dann später folgen. Erklärtes Ziel der Verwaltung ist es, die Ausschreibungstexte so zu formulieren, dass möglichst hinterher freie Träger der Wohlfahrtspflege den Zuschlag bekommen. Nicht ausschließen können und wollen die Verantwortlichen aber, dass Bochumer Unterkünfte irgendwann auch an rein kommerzielle Unternehmen wie zum Beispiel European Homecare abgegeben werden. Es ist sicherlich kein Zufall, dass dieser umstrittene Konzern bundesweit einer der Hauptprofiteure im Privatisierungsgeschäft mit Flüchtlingsunterkünften ist.

Immerhin – das muss man den Bochumer Verantwortlichen schon fast zugute halten – ist die Verwaltung in diesem Punkt ehrlich. Denn wenn das Outsourcing erst einmal angestoßen ist, muss sich die Stadt an EU-Vergaberecht halten, das Benachteiligungen einzelner Anbieter explizit verbietet. Zwar kann die Stadt versuchen, bei den Ausschreibe- und Vergabekriterien etwas herumzutricksen, um doch zu erreichen, was das EU-Wettbewerbsrecht eigentlich verhindern soll. Aber ob und wie lange das gut geht, ist völlig offen. Es ist also keineswegs ausgeschlossen, dass die Stadt mit dem Outsourcing jetzt eine Entwicklung lostritt, die uns in Zukunft als angebliches Sachzwang-Argument auf die Füße fallen wird, so nach dem Motto: Sorry, wir müssen uns an EU-Recht halten und sind leider gezwungen, die Bochumer Flüchtlingsunterkünfte für die Profitbestrebungen privater Unterbringungskonzerne zu öffnen.

Am Beispiel von European Homecare haben wir bereits erleben müssen, was unter den Rahmenbedingungen von Machtkonzentration und  Privatisierung alles möglich ist: In Unterkünften des Konzerns kam es zu Machtmissbrauch in den schlimmsten Formen. In Burbach und Essen wurden zum Beispiel in von Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes misshandelt und eingesperrt bzw. gedemütigt. In Freiburg wurden Hausordnungen erlassen, die den Bewohner*innen grundrechtswidrigerweise mit Ablehnung ihres Asylantrags drohen.

Aber auch unabhängig davon, an wen die Bochumer Flüchtlingsunterkünfte genau outgesourct werden sollen, bleiben einige Probleme und Risiken: Auch beim Outsourcing an freie Träger droht eine noch weitergehende Verantwortungsdiffusion: Diejenigen, die die finanziellen Rahmenbedingungen zu verantworten haben, sind dann nicht mehr dafür verantwortlich, was mit dem viel zu wenigen Geld in den Unterkünften passiert – beziehungsweise nicht passiert. Diese zusätzliche Ebene macht es allen Beteiligten noch einfacher, mit dem Finger auf andere zu zeigen und sich für menschenunwürdige Verhältnisse nicht verantwortlich zu fühlen. Weiter führt Outsourcing, da gibt es leider bereits genug Erfahrungen, zu einem Abbau von Transparenz und demokratischer Kontrolle: Nach dem Informationsfreiheitsgesetz sind nämlich die Kommunen zu viel größerer Transparenz und Offenheit verpflichtet als andere Träger. Mit der Ausgliederung und Fremdvergabe werden also Rechte von Bürger*innen, Journalist*innen und demokratisch gewählten Vertreter*innen eingeschränkt.

Und blicken wir einmal über den Tellerrand der reinen Flüchtlingspolitik hinweg. Das zentrale Argument für die Fremdvergabe ist ja, dass der Stadt aktuell Personal und Kompetenzen fehlen, um das alles selbst zu machen. Wenn die Stadt allerdings immer mehr Aufgaben an andere abgibt, dann sorgt das für eine dauerhafte Abwärtsspirale, die zwangsläufig zu weiterem Kompetenz- und Personalaabbau bei der Stadt führt. Und diese Privatisierungs- und Kompetenzabbauspirale gefährdet im Kern die öffentliche und demokratische Struktur unseres Gemeinwesens, unserer Stadt.

Was können wir dagegen setzen? Zum einen die Forderung, dass die Stadt gerade im sozialen Bereich eine Vorbildfunktion einnehmen  sollte. Sie sollte selbst gute und sichere Arbeitsplätze schaffen, um ihre kommunalen Pflichtaufgaben zu erfüllen. Soziale Pflichtaufgaben sind nämlich nicht nur irgendein zweitrangiger Pillepalle-Anhang, sondern eben genau das: Pflichtaufgaben der Stadt. Und wenn die Stadt zugibt, dass ihr da Kompetenzen und Personal fehlen, dann brauchen wir einen Kompetenz- und Personalaufbau in diesen Bereichen, und keinen weiteren Abbau.

Diese gesamtgesellschaftlich wichtige Diskussion probiert die Stadt Bochum allerdings gerade im Keim zu ersticken und verhindert eine demokratische und öffentliche Debatte über das Für und Wider. Auch durch das Tempo, in dem das alles durchgesetzt werden soll. Die Verwaltung will jetzt lediglich im stillen Kämmerlein mit einigen Verbänden und Initiativen über die konkreten Vergabekriterien reden. Darunter sind auch Vertreter*innen der freien Träger, die sich durch das Outsourcing Aufträge erhoffen.

Viele Träger der freien Wohlfahrtspflege leisten bereits jetzt wichtige und unverzichtbare Arbeit im Flüchtlingsbereich. Viele von ihnen sind erste Bündnispartner, wenn es darum geht, menschenwürdigere Lebensbedingungen für Schutzsuchende in unserer Stadt zu erkämpfen. Aber trotzdem ist es ein großes Problem, wenn die Stadt eine ergebnisoffene öffentliche Debatte verhindert und lediglich federführend mit denjenigen Akteuren über die konkreten Ausschreibungskriterien verhandelt, die sich durch das Outsourcing zusätzliche Aufträge und Stellen sowie mehr Einfluss erhoffen können. Das ist auch gar keine Kritik an den freien Trägern, sondern der Hinweis auf einen strukturellen, von der Stadt geschaffenen Interessenskonflikt. Und es ist das vielleicht stärkste Argument dafür, weshalb wir eine öffentliche, demokratische und ergebnisoffne Diskussion über die Folgen der Outsourcing-Pläne brauchen. Dafür ist es zentral, erstmal auf die Bremse zu treten. Die Outsourcing-Pläne dürfen auf keinen Fall so überstürzt und lediglich begleitet von Hinterzimmergesprächen umgesetzt werden. Lasst uns gemeinsam eintreten für eine öffentliche und kritische Debatte darüber. Wenn die Sachzwänge erstmal geschaffen sind, ist es zu spät.

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