Redebeitrag zur Unterbringungssituation in Bochum

Im vergangenen April hat die Stadt Bochum ein Betreuungs- und Unterbringungskonzept für Flüchtlinge vorgelegt. Das Konzept sah  vor, Flüchtlinge dezentral in eigenen Wohnungen unterzubringen und Gemeinschaftsunterkünfte immer nur als Notlösung zu verwenden. In keiner Gemeinschaftsunterkunft sollten mehr als 80 Personen untergebracht werden. Pro Person sollten mindestens 8qm zur Verfügung stehen – immer noch sehr wenig, aber mehr als aktuell in vielen Unterkünften. Ein Betreuungsschlüssel von 1:75 wurde als notwendig erachtet.

Eine Umsetzung dieses Unterbringungskonzepts hätte die Situation in Bochum in wichtigen Punkten den Mindeststandards zumindest angenähert, die auch von Organisationen wie dem Flüchtlingsrat NRW gefordert werden. Da das Konzept jedoch zu keinem Zeitpunkt verbindlich – im Sinne echter Mindeststandards – galt, stand von vorneherein zu befürchten, dass es sich um ein reines Schön-Wetter-Dokument handelt. Und genau so war es auch: Zu keinem Zeitpunkt hat die Stadt ihr Konzept erfüllt, und inzwischen hat sie sich sogar mehr oder weniger offiziell davon verabschiedet. Derzeit leben mehr als 5.000 Geflüchtete in Bochum – davon sind 450 bereits in Industriegroßzelten untergebracht, weitere Industriezelte für fast 700 Menschen sind im Bau. 18 Turnhallen werden zur Unterbringung von Flüchtlingen verwendet. Vom angepeilten Betreuungsschlüssel ist man trotz akueller Neueinstellungen meilenweit entfernt.

In Deutschland gibt es 1,5 Millionen leerstehende Wohnungen; auch in Bochum stehen wohl tausende Wohnungen leer. Wo genau, weiß allerdings niemand. Deswegen fordert der Bochumer Mieterverein, dass die Stadt eine sogenannte „Zweckentfremdungssatzung“ erlässt. Dadurch müssten Eigentümer*innen längerfristigen Leerstand bei der Stadt melden und sich genehmigen lassen. So wäre es möglich, ihn einer sinnvollen Nutzung zuzuführen.

Stattdessen lassen Politik und Verwaltung in einer Stadt, die in den letzten Jahren zehntausende Einwohner*innen verloren hat, tausende Menschen auf engstem Raum in menschenunwürdigen Verhältnissen leben. Und fest steht: Wenn die Stadt einzig und allein auf kurzfristige Lösungen wie Turnhallen, Zelte und Container setzt, wird sich daran auch mittelfristig nichts ändern.

Dabei liegen andere Konzepte auf dem Tisch: Neben einer massiven Stärkung des kommunalen Wohnungsbaus, der langfristig allen Bochumer*innen zugute kommen würde, könnte die Stadt auf kurzfristig erstellbare Modulbauten und Holzhäuser setzen. Diese Bauten haben eine Lebenszeit von mehreren Jahrzehnten und können flexibel umgenutzt werden, wenn endlich genug regulärer Wohnraum geschaffen ist. Wichtig ist dabei allerdings, sie dezentral zu errichten. Denn wenn wie aktuell am Nordbad gleich fünf große Modulbauten direkt nebeneinander gesetzt werden, und die dann auch noch mit einem Zaun inklusive Pförtnerhäuschen umgeben werden, um sie anschließend völlig überzubelegen – dann handelt es sich wieder um ein menschenunwürdiges Sammellager.

Heute treffen sich die Verantwortlichen für die unerträgliche Unterbringungs- und Betreuungssituation in Bochum zu einer Ratssitzung. Deshalb sind wir heute hier, um uns mit den Protesten der Geflüchteten zu solidarisieren und ein Ende der prekären Unterbringung zu fordern. Es ist an der Zeit, verbindliche Mindeststandards zu setzen, die allen Menschen in Bochum ein Leben in Würde ermöglichen! Die Abdeckung von Grundbedürfnissen darf niemals wegen knappen Kassen auf die lange Bank geschoben werden. Ja, Bochum befindet sich in einer Haushaltskrise. Aber: Dass nicht genug Geld für eine menschenwürdige Unterbringung da ist, das ist ein Scheinargument. Erstens ist das auch eine Sache von Prioritäten, und zweitens ist die Unterbringung in menschenunwürdigen Containern und Industriezelten die mit Abstand teuerste Unterbringungsform, die es gibt. Durch diese unwürdigen Unterbringungsverhältnisse wird kein einziger Cent gespart, im Gegenteil!

Wenn wir von menschenwürdigen Lebensverhältnissen sprechen, meinen wir einerseits die Versorgung mit ausreichend Wohnraum, der genug Privatsphäre bietet, in dem ein selbstbestimmtes Leben möglich ist, und der auch besondere Bedürfnisse wie die von Familien und Kindern erfüllt. Dazu zählt auch die Versorgung mit allen Gütern des täglichen Bedarfs, inklusive Dingen wie Windeln oder Babynahrung – beziehungsweise noch besser und unbürokratischer: Reguläre Sozialleistungen ohne diskriminierende Sonderregelungen statt Sachleistungen sowie endmündigender Massenverpflegung in Massenunterkünften. Vor wenigen Tagen gab es einen Hilferuf von  Ehrenamtler*innen: Sie haben dazu aufgerufen, Windeln, Babynahrung und Milchpulver für die Kleinkinder in den Industriezelten auf dem Opel-Parkplatz zu spenden, da die Stadt die Kinder schlichtweg nicht versorgt hat. Angeblich hatte die Cateringfirma lediglich einen Auftrag für die Versorgung der Erwachsenen bekommen. Es ist ein Skandal, dass so etwas passieren kann.

Zu menschenwürdigen Lebensverhältnissen zählen auch eine gute medizinische Versorgung, insbesondere auch im Falle von Traumatisierung. Ebenso notwendig ist eine dem Einzelfall gerecht werdende soziale Betreuung und Unterstützung. All dies liegt in der Verantwortung der Stadt Bochum! Und nicht zuletzt brauchen wir wirklich verbindliche menschenwürdige Standards und eine unabhängige Kontroll- und Beschwerdestelle, an die sich die Bewohner*innen von Unterkünften wenden können.

Alles unterhalb eines menschenwürdigen Lebens für Alle ist eines reichen Landes wie Deutschland unangemessen!

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