Wie hier bereits berichtet („Politik in Bochum: Jetzt vor Ort Verantwortung abschieben?“) hat die SPD bei der Ratssitzung am 30.03.2017 ihr Versprechen gebrochen, eine überparteiliche Resolution gegen Abschiebungen nach Afghanistan vorzuschlagen. Als Begründung gaben Oberbürgermeister Thomas Eiskirch und die Ratsmitglieder von SPD und CDU an, eine solche Resolution sei aus juristischen Gründen nicht möglich – was höchst unglaubwürdig ist angesichts der Tatsache, dass die Stadträte in Düsseldorf und in Mühlheim ähnliche Antragstexte beschlossen haben, ohne dass es irgendwelche rechtlichen Einwände gibt.
Doch nicht nur das gebrochene Versprechen selbst, sondern auch die Art des Umgangs mit Menschen, die sich – wie doch eigentlich überall ausdrücklich gewünscht wird – aktiv in demokratische Prozesse einbringen, sorgte für große Verärgerung. Wir teilen das Unverständnis, das in folgendem Leser*innenbrief zum Ausdruck gebracht wird:
»Auf dem Nachhauseweg von der Sitzung des Bochumer Stadtrats am Donnerstag ging mir nicht mehr aus dem Kopf, wie unterdrückend dort mit uns in der Unterstützung von Geflüchteten aktiven Menschen und selbst von Abschiebung nach Afghanistan bedrohten Personen umgegangen wurde. Deshalb möchte ich das hier für die Öffentlichkeit schildern:
Das Thema Abschiebungen nach Afghanistan wurde bei den beiden Ratssitzungen, wo über eine Positionierung verhandelt werden sollte, versucht, inhaltlich komplett auszuschweigen. Konsequent versuchten der Oberbürgermeister und SPD und CDU auf formalem Weg, es formalistisch als irrelevant zu behandeln, ohne auch nur ein Wort dazu zu verlieren, was sie eigentlich von diesen Abschiebungen in den Krieg halten… von den gesättigten, deutschen, selbstzufriedenen Sesselfurzer*innen, die nichts vom Elend und Leid dieser Welt wissen wollen. Das muss ich hier leider so schreiben 🙁
Es war am vergangenen Donnerstag wirklich nochmal eine krasse zusätzliche Unverschämtheit, wie in der Ratssitzung mit dem „Publikum“ umgegangen wurde. Eingeleitet von Oberbürgermeister Eiskirch mit den Worten, die Leute da oben auf der Tribüne wüssten ja vom letzten Mal, wie die Spielregeln seien und Leute würden bei Meinungsäußerungen diesmal ohne Verwarnung direkt rausgeschmissen werden. Und dass jeder Video-/Audio-Mitschnitt verboten sei.
Es wurde ein Ordnungsamt-Typ in Zivil unter uns gemischt, er saß als „normaler Zuschauer“ zwischen uns, der sich zwischendurch zu erkennen gegeben hat und sich als vom Oberbürgermeister beauftragt bezeichnet hat. Er wollte Leuten verbieten, die A4-Blätter mit Aufschriften wie „Keine Abschiebungen nach Afghanistan #afghanistannotsafe“ oder „Jetzt vor Ort Verantwortung übernehmen“, die sie zu Beginn der Sitzung runternehmen mussten (da sie eine verbotene Meinungsäußerung darstellten) einfach nur auf dem Schoß liegen zu haben! Und hat gedroht, sie einzuziehen – ohne jeden Anlass. Niemand hatte nach den Ansagen vom OB auch nur minimal angedeutet, eins der Blätter wieder hochhalten zu wollen.
Es standen die ganze Zeit zwei Polizisten in zivil auf der zweiten Seite der Zuschauer*innentribüne direkt neben den Leuten dort, die dann mit ihnen bzw. uns das Gebäude verlassen haben, also einzig und allein für uns da abgestellt worden waren. Wozu???
Alles in dem „Parlament“ dieser Stadt, und nur zu dem Zweck, das Thema der menschenrechtswidrigen Abschiebungen in ein von Krieg und Terror zerstörtes Land unhörbar werden zu lassen…«
— Zuschrift vom 02.04.2017, Name der Redaktion bekannt
Interessant ist auch, dass es offenbar eine Vereinbarung im Stadtrat gibt, Resolutionen nicht mehr öffentlich im Rat zu verhandeln. So konnte das Thema einfach mit einer kurzen Abstimmung gegen die eingebrachte Resolution vom Tisch gewischt werden. Genauso nebensächlich werden dann vermutlich Menschen abgeschoben, als bedeute das nichts…Nicht mal eine Rechtfertigung solch einer Politik scheint vonnöten zu sein – der Stadtrat muss sich zu dem Thema offenbar nicht einmal verhalten. Nach einer kurzen Abstimmung gings einfach weiter mit der Tagesordnung. Das ist wirklich erniedrigend für die Betroffenen, ignorant und zeugt von der Realtiätsferne vieler PolitikerInnen, denen es offenbar leicht fällt, eine bequeme Distanz zu den Schicksalen der geflüchteten AfghanInnen zu halten.
Vorgeschobene rechtliche Bedenken legitimierten doch nur das Wegschauen der PolitikerInnen und die mangelnde Handlungsbereitschaft in Bezug auf das Thema. In anderen Städten wurde da wesentlich mehr Rückrat bewiesen. Die Entscheidung in Bochum ist ein Armutszeugnis für Demokratie und Menschenrechte – und für Zivilcourage der Regierenden! Es ist auch eine echte Ohrfeige für die bedrohten Menschen aus Afghanistan und die vielen aktiven UnterstützerInnen in Bochum, die das Leben in der Stadt im Gegensatz zu vielen PolitkerInnen mit Solidarität gestalten und Ressentiments abbauen. Absolut enttäuschend!
So zeigt sich einmal mehr, das das Zusammenleben in der Stadt gemeinsam mit ihren BewohnerInnen „von unten“ gestaltet werden muss – gegen menschenverachtende Praktiken von Regierenden und mit einer ordentlichen Portion Zivilcourage und – wenn die PolitkerInnen derart ignorant auftreten – auch mit zivilem Ungehorsam!